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Social Media: Der Charme des Shitstorms

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Bombige Angelegenheit: Der Begriff Shitstorm entstammt dem Militärwesen – martialisch halt. Strategie und Taktik sieht man das nicht mehr an

Ich glaube, ich weiß, warum wir alle so gern über Entrüstungs-Empörungs-Aufschrei-wellen-und-wogen reden. Der Shitstorm macht das Thema Social Media businessgängig: Selbst Laien können nachvollziehen, welche Kraft soziale Medien entfalten können. Und auch wenn es für den CFO nicht bezifferbar ist: „Schlechtes Image“ ist ein Argument, das in Chefetagen zählt.

Auf gut Deutsch: Shitstorms sind für Social Media das, was die Atombombe für den Physiker – eine drastische, aber umso leichter nachvollziehbare Demonstration der Durchschlagskraft des „Mediums“. Also ein perfekter Aufhänger für jede Diskussion. Das muss sich auch die Landesgruppe Baden-Württemberg des Bundesverbands der Pressesprecher gesagt haben. Und lud zur Macht der Shitstorms – Ohnmacht der Unternehmen.

In Kürze: das Programm

Vorweg: Die Reise nach Stuttgart hat sich gelohnt. Die Veranstaltung war wirklich gelungen. Ambiente, Verpflegung, Vorträge und Diskussion waren gut bzw. kurzweilig. Die Zeit ging rum wie nichts. Hauptdarsteller im Lineup waren Johannes Kaufmann vom SWR, der mit einem Mix aus Beispielen und Theorie (so es die denn gibt ;-)) ins Thema einführte sowie Markus Herrmann, Pressesprecher von Schwäbisch Gmünd und der Pate des Bud Spencer Tunnels. Wer nach einem Redner sucht, sollte ihn unbedingt buchen. Unterhaltsam, humorvoll, lehrreich – das Highlight des Abends. Und das erste Mal, das ich einen Redner auf der Bühne strippen sah ;-). Danach führte Anja Günzel vom SWR durch eine Podiumsdiskussion, zu der sich Jürgen Ebenau, Onlinechef des SWR, Journalistin Gabi Renz und Patrick @schiri Schneider von der divia gesellten.

Tief Luft holen, abspringen, eintauchen in die Welt der Shitstorms

Eigentlich hätte ich das schon vorher anhand des Titels der Veranstaltung ahnen können, aber es konnte leicht der Eindruck entstehen, dass die Welt der sozialen Medien aus einer Aneinanderreihung von Shitstorms besteht. „Es wird jeden von Ihnen treffen“ „Bereiten Sie sich vor“. Die Realität sieht aber doch ein wenig anders aus. Da wird eben nicht pausenlos gepöbelt und gezündelt. Viel häufiger begegnet man dem Phänomen des „Still ruht der See“ und bisweilen eben auch dem Nutzen: Markus Herrmann versuchte, dieses Moment unterzubringen, beispielsweise als er  von Bürgern berichtete, die via Facebook Kontakt zu den Gremien der Stadt suchen. Der Bud Spencer Tunnel hat sich also letzten Endes tatsächlich als Wegbereiter einer erhöhten Bürgerbeteiligung erwiesen (Kulturwandel?). Na also – es ist nicht alles Shitstorm, was wir so titulieren 😉

Und vielleicht ist ein Shitstorm ja auch nichts wirklich Neues? Jürgen Ebenau und Johannes Kaufmann sprachen von (virtuellen) Demonstrationen und verwiesen auf Postkartenaktionen (Beispiel: Greenpeace).  Soziale Medien verlängern diese kumulierten Meinungsäußerungen in die schnelle Onlinewelt. Die Geschwindigkeit führt zu zwei Resultaten: Zum einen bekommt der Affekt mehr Spielraum. Die Formulierung von Kritik wird harscher, beleidigender, drastischer. Zum anderen die Halbwertszeit sinkt (teilweise): Entrüstung auf einer Facebookseite (dem beliebtesten Spielfeld) versinkt sehr schnell wieder im Grundrauschen des allgemeinen Informationsaustauschs. Oder wie Patrick Schneider es formulierte: „Google, Presse und Blogger sind nachhaltig, Facebook nicht“.

Breiter Rücken als Heilmittel?

Neben der Frage, wie sich Shitstorm und (berechtigte) Kritik voneinander abgrenzen (durch die Tonalität?) blieb ebenso die Kernfrage unbeantwortet: Wenn Shitstorms ohnehin keine bleibenden Auswirkungen haben, warum sollte man dann überhaupt auf Kritik (auch unsachgemäße) reagieren? Mehrfach fiel der Tipp „Durchhalten oder Aushalten“ – Gelassenheit ist ja häufig ein guter Mentor. Und in Einzelfällen – insbesondere dann, wenn man wie bei der ING DiBa (Vegetarier vs. Carnivoren) nicht über ein Kernthema des eigenen Geschäfts diskutiert- kann das tatsächlich die richtige Strategie sein.

Aber gar nicht reagieren – ganz im Ernst – das wird doch wohl keiner wirklich wollen. Immerhin saßen da lauter Menschen, die daran interessiert sind, ihrem Unternehmen in der Öffentlichkeit ein gutes Image zu verschaffen bzw. die eigene Sichtweise auf die Realität zu transportieren. Und das hat natürlich auch niemand ernsthaft in Erwägung gezogen. Aber einen Grund dafür zu finden, fiel schon ein bisschen schwerer 😉

Ein Shitstorm ist nicht in erster Linie die Auseinandersetzung mit den direkten Kritikern, sondern der eigene Auftritt, den man als Unternehmen vor einem mehr oder weniger fachkundigen zuschauenden Publikum in einer „Krise“ abliefert. Denn diese (ebenfalls mehr oder weniger) 90 Prozent der reinen Mitleser sind nachher diejenigen, die sich eine Meinung über das Unternehmen bilden und letzten Endes möglicherweise eine individuelle Kaufentscheidung treffen. Im Fall von Amazon liest sich das so: 75 Prozent der Kunden sehen keinen Handlungsbedarf, „nur“ 7 Prozent wollen Ihr Konto auslösen. Die Weiterempfehlungsquote sinkt auf die Hälfte. Otto und Quelle legen bei den Umsätzen schlagartig zu.

Alles wird wieder gut, nicht wahr? Nur für den Moment bekommt Amazon tatsächlich eine Ohrfeige verpasst. Und die Umsätze, die anderswo getätigt werden, sind tatsächlich futsch. Auch wenn hinterher alles wieder gut wird. Ist ein bisschen wie Strafarbeit, Nachsitzen oder Taschengeldentzug – tut auch weh. Und möglicherweise lernt man als Bestrafter was draus. Und das wäre nicht das schlechteste Ergebnis, oder? 😉

Eine Frage von Schuld und Sühne

Einen letzten Gedanken will und muss ich noch anfügen. Leider wurde über die Schuldfrage den ganzen Abend nicht diskutiert. Wo Unrecht entstanden ist, muss es gesühnt werden. Das ist doch ein Klassiker. Wo sich ein Shitstorm an enstandenem Unrecht entzündet, ist das der richtige Weg. Aber muss ich nachgeben, auch wenn ich im Recht bin. Um des lieben Friedens willen? Hat der SWR Schuld auf sich geladen, wenn er seinen Online-Tatort-Kommissaren zu wenig Rechenkraft zur Verfügung stellt? (Übrigens: die Cloud wäre eine Lösung gewesen 😉 Muss er sich entschuldigen, wenn mehr Menschen mit einem Service beschenkt werden wollen als der Schenker ursprünglich geplant hat? Wir sind sehr schnell mit unseren Urteilen über einen nicht-funktionierenden Onlineservice.

Einmal zu viel um Entschuldigung zu bitten, ist sicher kein Fehler. Man muss ja kein Öl ins Feuer gießen. Aber auch das ist digitaler Wandel: Früher waren wir noch dankbar, dass es ein Web als Informations- und Austauschmedium gibt. Heute stellen wir als Nutzer an die Provider von Inhalten etc. immer mehr Ansprüche. Woher kommt das?

Für den Umgang mit Shitstorms muss man sein Gegenüber kennen. Die Gründe, die ihn oder die Community antreiben, den Streit zu suchen. Hinsichtlich der Themen sollte ein Unternehmen nicht unvorbereitet sein. Hinsichtlich der Herausforderer – ok, da schon. Wenn man die eigene Bedeutung und Marke, die Ursache, das Gegenüber und möglicherweise die Multiplikationskraft von Thema und Kritiker kennt, dann kann man entsprechend und passend reagieren. Und dann kann die mögliche Reaktion auch mal ein Anschreien des @griesgrämers sein 😉

Mit besten Grüßen
Ihr/Euer Martin/Reti

 
2 Kommentare

Verfasst von - 27. Juni 2013 in Social Media

 

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